Die 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts brachten im musikalischen Geschehen nicht nur die »Neue Deutsche Welle«, sondern auch Veränderungen im Leben der Gesangvereine. Es war nicht mehr »in« als junger Mensch im Gesangverein aktiv mitzuwirken. Ältere, verdiente Mitglieder konnten oder wollten nicht mehr aktiv dabei sein, jüngere Mitglieder hatten nur noch ein geringes oder gar kein Interesse mehr im Chor zu singen. Oft lag das an der Liedauswahl, die sich fast ausschließlich auf das traditionelle deutsche Liedgut beschränkte und für viele Jüngere nicht mehr interessant war. Diese Entwicklung setzte sich in den 1990er Jahren so verstärkt fort, dass etliche Gesangvereine, aber auch vor allem die Männerchöre, durch dramatischen Mitgliederschwund nicht mehr in der Lage waren, den Chorbetrieb aufrecht
zu erhalten und sich entweder ganz auflösten oder mit anderen Vereinen fusionierten, um »am Leben zu bleiben«.
Im Februar 1988 löste Erich Kutschinski Otto Müller als Dirigent ab. Im Januar 1989 wurde Arno Butz der neue erste Vorsitzendedes Vereins. Chorleiter und 1. Vorstand erkannten die schwierige Lageund suchten gemeinsam neue musikalische Wege. Dies bedeutete aber fürdie noch aktiven Sänger, neue Lieder mit fremdsprachigen, vorwiegendenglischen Texten, zu lernen. Viele Sänger weigerten sich, dieseUmstellung anzunehmen. Um den Verein nicht auszubluten, einigte man sich auf eine pragmatische Lösung. Die wöchentlichen Singstunden wurden zweigeteilt. Im ersten Teil der Stunde studierte man die englischen Titel ein, nach der Pause sang man deutsche. Wer keine englischen Textelernen mochte, kam eben erst zum zweiten Teil der Probe und konnte dann am geselligen Beisammensein zum Abschluss dabei sein. Der Dirigent und der 1. Vorstand orientierten sich an dem damals, mit steigender Begeisterung bei Publikum und Chören aufgenommenen Trend, Gospels und Spirituals in das Chorprogramm aufzunehmen. Am 2.10.1991 wurde das Vokalensemble »Take Off« als Ensemble aus Mitgliedern des MGV gegründet.
Nicht unerwähnt soll in diesem Zusammenhang bleiben, dass einer der damals ältesten Sänger, der langjährige Kassier August Lang, trotz seines schon hohen Alters, bereitwillig englische Lieder lernte, getreu seiner positiven Einstellung »wenn es zum Nutzen des Vereins ist, dann bin ich dabei«.
Im Oktober 1992 fand das erste große Spiritual-Konzert mit einer kleinen Begleitband (Gitarre, Schlagzeug, Bass) in der Kirche St. Cyriakus in Bulach statt und war ein überwältigender Erfolg.
Traditionsgemäß wurde bei der Eintracht nicht nur gesungen; so war die Eintracht als Bulacher Verein immer bei den Bulacher Straßenfesten aktiv, half bei Jubiläen andere Vereine aktiv mit, übernahm die Bewirtung bei den Rosenmontagsbällen des Bürgervereins und war selbst Veranstalter von Gartenfesten und Winterfeiern.
1998 trennte sich die Eintracht von Erich Kutschinski und fand in Stefan F. Fischer einen neuen Chorleiter. Seine Art zu dirigieren und zu proben brachte eine große Umstellung für die Sänger. War sein Vorgänger eher an Klangvolumen und Strahlkraft der einzelnen Stimmen interessiert, brachte Stefan Fischer der Eintracht die leiseren, die Zwischentöne bei. Mit ihm war es möglich, dass die Tenorstimme nun auch in der Counterlage gesungen wurde und sie sich damit nicht mehr, wie beim traditionellen Männergesang üblich, in den Vordergrund stellte.
Die Sänger lernten Barbershops, Madrigale aus der Renaissance, Romantik des 19. Jahrhunderts, Spirituals, Stücke der Comedian-Harmonists, Schlager der1950er-Jahre sowie experimentelle Stücke und vom Dirigenten selbst arrangierte Titel. Der Bass sang nun nicht mehr nur allein die Unterstimme, sondern wurde zur Rhythmusgruppe. Die neuen Arrangements waren nun nicht mehr immer nur vierstimmig, sie konnten, wenn es die Komposition so vorsah, auch fünf- und mehrstimmig gesetzt sein.
Das letzte Straßenfest in Bulach im September 2003 bedeutete auch leider einen drastischen Rückgang der finanziellen Mittel, war man als kleiner Verein doch dringend auf die Einnahmen aus Straßen- und Gartenfesten angewiesen. Neue Wege mussten beschritten werden. Die Überlegung war, sich durch Auftritte bei jeder Art von
Feierlichkeiten anzubieten. Ein neuer Name für die kleine Truppe der aktiven Sänger wurde geboren und so entstanden im Frühjahr 2002 »Die Zehn Bulach a cappella«. Eine Bezeichnung für den Chor, von der heute gesagt werden darf, dass sie sich als Marke etabliert hat.
Während sich die musikalische und gesangliche Qualität des Ensembles stetig weiter entwickelte, kam es zu weiteren Kooperationen mit anderen Vereinen, so z. B. mit dem Frauenchor Belcanto aus Leopoldshafen oder auch dem Karlsruher Mandolinen und Gitarrenverein. Inzwischen sind »Die Zehn« fester Bestandteil bei den Veranstaltungen des Künstlernetzwerks SW und treten seit Oktober 2009 regelmäßig im Café Gurke auf.
2006 gab der langjährige 1. Vorstand Arno Butz sein Amt aus familiären Gründen an August Ludviksson ab, der seither dem Verein vorsteht.
»Die Zehn« haben es geschafft, ihren Verein am Leben zu erhalten. Es gelingt ihnen, trotz ihrer kleinen Zahl, jedes Jahr ein Konzert zu geben und sich auch am Bulacher Vereinsleben aktiv zu beteiligen. Als ein Beispiel sei hier nur das alljährliche Adventsingen des Bürgervereins Bulach erwähnt. Mit einer guten Mischung aus bewährten und modernen Titeln, gelingt es den Zehn immer wieder, ihr Publikum zu begeistern. Ihre Versionen von James Browns »I feel good«, von Kraftwerks »Modell« oder von Peter Fox »Haus am See«, um nur einige Titel zu nennen, bezaubern die Zuhörer und diese danken es den Zehn mit großem Applaus.
In unserer heutigen digitalisierten, schnelllebigen Zeit, in der die modernen Kommunikationsmittel und deren Fortentwicklung kaum Verschnaufpausen erlauben, ist es der Eintracht Bulach 1862 e. V. gelungen, ihr 150 zigstes Jubiläum zu erleben und trotzdem für moderne Entwicklungen im Chorgesang offen zu bleiben.
Das liegt zum großen Teil auch an dem Engagement der verbliebenen Sänger, die sich trotz oder gerade wegen ihrer »geringen« Anzahl, alle, ein jeder mit seinen individuellen Stärken, aktiv und diszipliniert in die aktive Gestaltung des gemeinsamen Ziels einbringen:
nämlich ihrem Publikum und natürlich auch sich selbst durch ihren Gesang Freude zu bereiten.
Alles versteht sich stets »A-Capella«, »unplugged«, ungedopt, original mit Unterton und gekonnt minimal atonal